H. Chris Gast, Berlin

Meine Geschichten

Foto der Garteneisenbahn, die mich zu Storys anregte (Mühlenau)

Meine Geschichten sind wie folgt eingeteilt:

- Allgemeine Geschichten und Aufsätze, siehe http://www.Siebener-Kurier.de/chris-buecher
- Boruthia-Geschichten (Planet der Katzenwesen), siehe http://www.siebener-kurier.de/fantasy
- Darkover-Geschichten (aus der Zeit, wo wir das noch durften), siehe  darkstys.html

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Im folgenden als Beispiel eines der Science-Fiction-Geschichten

H. Chris Gast, April/Mai 1995 und Juli 1999

Die Kinder im Raumschiff

Kapitel 1: Beim Autogenen Training

Wenn ich Kopfschmerzen habe, mache ich manchmal autogenes Training. Ich war gerade in der vollkommenen Schwere des autogenen Trainings auf meinem Sofa, als mich plötzlich jemand an der Hand zupfte. Als ich die Augen aufmachte, sah ich schemenhaft ein kleines Mädchen neben mir stehen. Ihr Gesicht war bleich und die Haare in einem ordentlichen Zopf geflochten. Sie bewegte ihren Mund, aber ich hörte nichts. Sie zog mich an der Hand und ich stand auf. Ein paar Schritte gingen wir wie durch Nebel, dann sah ich eine Reihe weiterer Kinder, alle noch kleiner als das Mädchen, das mich an der Hand hielt. Sie schienen mich nicht zu bemerken. Das Mädchen präsentierte mich einem Jungen, der fast so groß war wie sie. Aber der konnte mich nicht sehen und wandte sich kopfschüttelnd ab. Da packte sie ihn und schubste ihn zu mir hin. Als er mich berührte, erschrak er. Er tastete erst meinen Arm ab, dann mein Gesicht - aber sehen konnte er mich immer noch nicht. Dann weinte er. Überhaupt wirkten die Kinder alle traurig, wie ein verlassenes Häuflein. Ich nahm den Jungen in den Arm. Die kleineren Kinder hockten sich eng aneinandergeschmiegt in eine Ecke. Sie empfanden meine Anwesenheit wohl als zu gespenstisch.

Ich sah mich um. Der Raum wirkte auf mich wie eine Höhle, aber für eine Höhle war er zu regelmäßig geformt, er war fünf- oder sechseckig. Die Wände waren etwas schräg nach innen geneigt und mit Blumen und Tieren bemalt. Zum Teil sahen diese aus wie die Malerei von kleinen Kindern und zum Teil erinnerten sie mich an die Höhlenmalereien der Steinzeit, einige Tiere und Blumen waren aber so perfekt gemacht, daß sie fast wie Fotografien wirkten. Die Decke leuchtete schwach weißblau wie ein Himmel. An zwei der Wänden lagen eine Art Matratzen, wo die Kinder offenbar nachts schliefen. Ansonsten war der Fußboden mit Spielzeug übersät, wie es in einem Kinderzimmer nun mal so üblich ist. (Nicht nur in meiner Welt also).

Das Mädchen zupfte wieder an meiner Hand und zog mich zu der Tür. Sie sah zwar nicht aus wie eine Tür, so wie ich Türen kannte. Es war eine glatte Wandfläche, die sich von der übrigen Wand nur dadurch unterschied, daß sie keinerlei Bemalung hatte. Daneben war eine markante Fläche in Ellbogenhöhe an der Wand. Mit einem Blick deutete mir das Mädchen an, daß ich daraufdrücken solle, dann würde die Tür sich öffnen - denn Türen gehen nur auf, wenn Erwachsene auf diese Tastfläche fassen.

Ich zögerte: Vielleicht sind die Eltern der Kinder dagegen? Aber das Mädchen drängte, indem sie an meiner Hand zog. Ich mußte an eine Katze denken, die an einer Tür entlangstreicht, um zu zeigen, daß sie dringend raus muß. Der Blick des Mädchens war so flehentlich und verzweifelt, daß ich nachgab. Ich drückte auf die Tastfläche - aber mein Arm ging durch die Wand hindurch. Und wenn das Mädchen mich nicht festgehalten hätte, wäre ich in dem Nebel verschwunden, der ihre Welt von meiner trennte.

Ratlos kehrten wir in die Raummitte zurück. Dann schaute ich mir die Kinder näher an. Inzwischen sah ich sie nicht bloß schemenhaft wie am Anfang. Die Gesichter waren alle ziemlich bleich. Die Haare schimmerten rötlich und waren recht grob geschnitten, bei einigen sogar schief. Das große Mädchen sah mich intensiv an, mir war, als hörte ich sie sprechen, obwohl sie diesmal nicht den Mund bewegte: "Im Haareschneiden bin ich leider nicht so gut," erklärte sie mir. Die Kleidung der Kinder bestand aus einem kurzärmeligen T-Shirt-artigen Hemd und einer kurzen Hose, die wohl ursprünglich bis zu den Knien ging. Es war deutlich zu sehen, daß die Kinder aus den Kleidern fast herausgewachsen waren. Das große Mädchen trug Kleidung, die aus lauter kleinen Stücken zusammengeklebt war. Wieder schaute sie mich intensiv an und sagte mir ohne Worte: "Neue Kleidung gibt es nur im ... Raum jenseits der Tür. Da mußte ich mir selbst welche basteln. Meine richtigen Kleider hat er da." Sie deutete auf den Jungen, der mich tasten, aber nicht sehen konnte. "Und seine Kleidung hat die da und so weiter", fuhr sie fort und deutete auf die kleineren Kinder.

"Wie heißt Du?" fragte ich das große Mädchen, indem ich mir Mühe gab, ihr in die Augen zu blicken und deutlich zu sprechen. "Ich heiße..., ich bin die Große, die auf die Kleinen aufpassen muß." Ich sah sie stirnrunzelnd an. "Ach so, weißt du das nicht? Mit Gedankensprache kann man doch keine Namen sagen, wie wenn man normal redet." entgegnete sie kopfschüttelnd, und obwohl der Blickkontakt dadurch unterbrochen wurde, "hörte" ich sie in meinem Kopf weiterreden: "Deshalb nennt man mich die Große und ihn hier", sie deutete auf den Jungen, "den Neugierigen. Die anderen Kinder haben noch keine Gedankennamen, sie sind noch zu klein für Gedankensprache." Ich sah, wie "der Neugierige" zu uns hinschaute, als ob er unserem Gespräch zuhörte. Er sagte aber nichts.

Schließlich schlug mir "die Große" vor, mit ihnen etwas zu spielen. Ich setzte mich auf den Boden zu den Kindern in der Ecke und spielte ein Klötzchenspiel mit, das ähnlich wie Domino war, aber statt Zahlen Bilder wie Memory hatte. Dabei mußten "die Große" und "der Neugierige" für mich setzen, da ich ja sonst durch die Spielklötze hindurchgegriffen hätte. "Die Große" und "der Neugierige" schmiegten sich links und rechts an mich. Die kleineren Kinder nahmen mich weiterhin nicht wahr und hockten uns gegenüber. Irgendwie mußte ich dabei an Mary Poppins denken.

Nach einer Weile erklärte "die Große", daß sie jetzt zu müde sei, um mich länger zu "halten", und mit den Worten in meinem Kopf: "Wir melden uns wieder bei Dir" erwachte ich auf meinem Sofa. Ich bin gespannt, ob sich die Kinder aus der anderen Welt wieder melden werden. Jetzt mache ich öfters autogenes Training als vorher, auch wenn ich keine Kopfschmerzen habe. Vielleicht warten die Kinder ja auf mich?

Kapitel 2: Nachts in Wannsee

Erst einige Wochen später sah ich die Kinder wieder. Ich war gerade bei meinen Eltern übers Wochenende, als ich im Morgengrauen durch ein Klopfen auf die Schulter geweckt wurde. Es war "die Große". Sie erklärte: "Es kommt leider nicht oft vor, daß ich noch munter genug bin für Gedankenreden, wenn die Kleinen endlich mal alle gleichzeitig schlafen. Immer wieder wacht eines der Kleinen zwischendurch auf, und allein lassen kann ich sie ja schlecht, nicht wahr? Und dann schläfst du gerade zu tief oder bist zu wach und nicht ansprechbar. So, jetzt zeige uns doch mal deine Welt, komm!" Sie zog mich quasi aus dem Bett. Der "Neugierige" war an ihrer anderen Hand. Er schien mich nicht zu sehen.

Ich hatte Hemmungen. Meine Eltern würden mich für verrückt halten, wenn ich mit zwei nicht realen Kindern durchs Haus und durch den Garten laufe. Denn ich war mir sicher, daß keiner außer mir die beiden Kinder wahrnehmen würde. Der "Neugierige" klagte, daß er nur grauen Nebel sehe, und hielt weiterhin die Hand "der Großen" umklammert. Aber als ich seufzend aufstand, schien er mich zu hören und drehte den Kopf in meine Richtung.

Ich beschloß, mit den beiden Kindern in den Garten zu gehen. Vor der Tür, die vom Wohnzimmer auf die Terrasse führte, blieb "der Neugierige" plötzlich stehen. Gebannt schaute er auf unseren Kater, der auf dem Sofa schlief. Er heißt Plüschi wegen seines weichen Felles. Der Kater erwachte und blickte auf den Jungen. "Ein zahmer Luchs!" rief "der Neugierige" aus, "Sieh' mal!" Er machte eine Schritt auf den Kater zu, lief dabei sogar durch einen - für ihn weder sichtbaren noch spürbaren - Sessel hindurch, traute sich aber doch nicht, "die Große" loszulassen. "Die Große" ließ sich von ihm aber zum Kater hinführen. "Du da!" sagte der Junge zum Kater. "Hallo!" antwortete der Kater. Ich hörte die Gedankenstimme des Katers quasi als Echo aus dem Kopf der Kinder. Der Kater fuhr fort: "Ich weiß zwar nicht, was ein Luchs ist, aber wenn Du, wie ich aus Deiner Vorstellung sehe, so jemand wie mich meinst, der auf Bäumen sitzt, dann bin ich es nicht. Ich sitze auf Sofas oder wo es bequem ist, aber nicht auf Bäumen." Der Kater streckte sich gähnend. "Mir scheint, du bist ein Junges, das noch Zärtlichkeit braucht." fuhr er fort. Dann stieß er einen beruhigenden M-Laut aus, der (zumindest telepathisch) dem Laut ähnelt, den eine Mutterkatze ausstößt, wenn ein kleines Kätzchen miaut, und sprang in die Arme des Jungen (der dabei "die Große" losließ) und schnurrte. Gleichzeitig war auf dem Sofa weiterhin ein schlafender Kater Plüschi zu sehen.

Eine Weile blieb ich wie angewurzelt stehen. Ich sah das gedankenverlorene Gesicht des Jungen, der wohl zum ersten Mal seit Monaten wieder so etwas wie Freude (oder Entspannung?) erlebte, das fassungslose Gesicht des Mädchens, die von dem schlafenden Kater auf dem Sofa zum schnurrenden Kater in den Armen des Jungen blickte. Leise schluchzend sagte sie zu mir: "Mama machte das auch immer so. Sie hat uns nachts mittels Gedankenreise getröstet, ohne extra aufstehen zu müssen. Und jetzt ist sie nirgendwo mehr da ..." Ich legte meinen Arm um das Mädchen und wußte nicht so recht, was ich sagen sollte.

Schließlich sprach mich der Kater an, wobei er in meine Richtung blinzelte: "Du, zeige den beiden den Garten. Ich will auch raus." Er sprang aus den Armen des Jungen, wurde wieder eins mit seinem Körper auf dem Sofa und begab sich gemächlich zur Terrassentür. Als ich die Tür geöffnet hatte, trennte er sich von uns und gab mir noch den Rat: "Zeige den beiden doch den Teich, wo die Vögel sind. So einen schönen verlockenden Anblick gibt es sonst nir-gends. Da kann man nicht widerstehen..."

Ich zeigte nun den beiden Kindern den Garten. Die blühenden Zierpflanzen fand "die Große" sehr fremdartig, vor allem die Tulpen. Aber die Gänseblümchen auf dem Rasen und die Bäume schienen ihr vertraut zu sein. "Der Neugierige" hingegen klagte wieder, daß er außer dem Kater nur grauen Nebel sehe. "Die Große" beschrieb ihm daraufhin, was sie sah, mit allen Farben. Plötzlich rief "die Große" aus: "Die Kleinen werden wach!" Sie zog "den Neugierigen" eng an sich heran, dann verschwanden die beiden.

Ich wartete nun darauf, daß ich in meinem Bett aufwachen würde, aber ich befand mich unverändert im Garten, ohne daß etwas geschah. "Einen Traum, in dem nichts passiert, gibt es nicht - also befinde ich mich wohl wirklich im Garten," dachte ich und ging ins Haus zurück. Im Wohnzimmer begegnete mir meine Mutter. Sie war noch im Nachthemd. "Komisch", sagte sie, "mir war, als hätte ich Kinderstimmen hier unten gehört. Hast du jemanden gesehen?" Ehe ich etwas sagen konnte, tauchte der Kater auf und machte meiner Mutter durch sein Verhalten klar, daß er Futter wolle, indem er ihr um die Beine strich und sich dann auffällig vor die Küchentür stellte. Und mir war dabei, als sagte er: "Aber bitte das richtige Futter, nicht das olle Aldi-Zeugs." Letzteres wird jedoch meine Einbildung gewesen sein.

In den nächsten Tagen ging eine Veränderung mit Kater Plüschi vor. Die meiste Zeit lag er apathisch auf dem Sofa, und er fraß doppelt soviel wie früher. Sogar Aldi-Futter akzeptierte er jetzt! Wenn Kater Plüschi nicht gerade auf dem Sofa schlief, war er neuerdings in der Lage, Türen zu öffnen. Bisher hatte er nur die Katzenklappe nach draußen öffnen können. Meine Mutter erzählte mir, Plüschi habe jetzt sogar einmal Minne, die andere Katze, als diese versehentlich im Obergeschoß eingesperrt war, durch Öffnen der Tür befreit! Minne selbst aber blieb relativ unverändert seit dem Besuch der fremden Kinder, nur daß sie jetzt zufriedener wirkte, so als ob sie jetzt öfters gestreichelt würde.

Meine Mutter hingegen war sehr besorgt. Sie höre jetzt öfters Kinderstimmen, obwohl außer ihr und meinem Vater kein Mensch im Hause sei. Offenbar wäre sie nervlich überreizt von dem Ärger mit . . . (sie nannte Namen, die ich aber nicht weitersagen will).
 
 

Kapitel 3: Kater Plüschi

Als mich "die Große" das nächste Mal in ihre Welt abholte, war es wieder nachts, als ich gerade kurz aufgewacht und wieder im Einschlafen war. Es überraschte mich nicht, in der Welt dieser Kinder in dem merkwürdigen verschlossenen Kinderzimmer Kater Plüschi anzutreffen. Deshalb war er also immer so müde! Plüschi saß auf dem Schoß des "Neugierigen". Er begrüßte mich mit einem kurzen Blick, jedoch blieb er ruhig sitzen und beachtete mich dann nicht weiter. "Der Neugierige" erklärte mir: "Die andere Katze kann leider keine Gedankenreisen, da müssen wir halt immer in Deine Welt, wenn wir sie streicheln wollen." Der Junge fügte hinzu, daß er mich jetzt auch sehen kann wie seine große Schwester, wenn auch nur schattenhaft. Er werde wohl bald erwachsen. Inzwischen wisse er auch den Unterschied zwischen Luchs und Katze, der "Flauschige" (er meinte Kater Plüschi) habe es ihm erklärt. Der Junge redete noch ein ganze Weile wie ein Wasserfall auf mich ein.

Die kleineren Kinder sahen weder mich noch den Kater. Trotzdem spielten wir zusammen wieder ein Spiel, diesmal eine Art Brettspiel. Es ähnelte in den Regeln einem Hüpfspiel, das man bei uns draußen spielt, nur daß hier ein Klötzchen auf einem bemalten Tuch gesetzt wurde. "Die Große" setzte für mich nach meiner Anweisung. Ich hätte ja durch Klotz und Tuch hindurchgegriffen, weil ich nicht real anwesend war. Obwohl die kleineren Kinder mich nicht sahen, spielten sie eifrig mit. Ob sie meine Existenz für eine Erfindung ihrer großen Schwester hielten? Eine Frage, die mich zum Lächeln brachte.

"Der Neugierige" führte zwischendurch, wenn er nicht gerade im Spiel mit Setzen dran war, intensive Gespräche mit dem Kater, aber nur er konnte die Antworten des Katers verstehen, und nur über ihn als Vermittler vernahmen wir die Gedanken des Katers. Sie waren für mich recht ungewöhnlich und originell. Ich hätte nie gedacht, daß eine Katze in dieser Art denkt. Am nächsten Morgen erwachte ich in meinem Bett, aber viel zu spät. Nur sehr knapp kam ich ein paar Minuten nach 9 Uhr, dem Ende der Gleitzeit, im Büro an. Sonst bin ich da immer so gegen 8 Uhr.
 
 

Als ich einige Tage später in meiner Wohnung in Steglitz schlief, wachte ich davon auf, daß mich der Kater Plüschi im Bett anstupste. Schlaftrunken stand ich auf, um ihm die Terrassentür zu öffnen, ohne zu bedenken, daß ich ja gar nicht in Wannsee war, sondern in meiner Wohnung eine Stunde entfernt vom Haus meiner Eltern. Ehe ich mich versah, befand ich mich wieder in der Welt der Kinder in diesem seltsamen verschlossenen Raum. Die Kinder waren diesmal sehr apathisch. Sie wirkten irgendwie schockiert.

Der Kater erklärte mir: "Die Große hat einen Zahn verloren nach einer spielerischen Rauferei. Ob sie jetzt stirbt? Ihre Mutter habe gesagt, es gäbe eine Krankheit, bei der man Haare und Zähne verliert und dann sterbe." Ich tröstete die Große und sagte ihr: "Vielleicht ist es ein Milchzahn. Die müssen raus. Das ist keine Krankheit." Dann dachte ich wieder, es müsse ein Traum sein, denn in Wirklichkeit können doch Katzen gar nicht reden. Der Neugierige hatte meinen Gedanken mitbekommen und klärte mich auf: "Ich habe dem Kater das Gedankenreden nach Menschenart beigebracht und er mir das Gedanken-Sehen. Ich sehe Dich jetzt genausogut wie die Große und der Kater." Nur die kleineren Kinder nahmen mich noch immer nicht wahr. Ich wollte nun mit dem Kater ein Gespräch anfangen, aber Plüschi hatte keine Lust. Mit erhobenem Kopf spazierte er durch die Wand davon. Der Neugierige und die Große zeigten mir dann ihren Essensautomat und den Müllschlucker, dann spielten wir wieder das Domino-artige Spiel, das ich bei meinem ersten Besuch bei den Kindern kennengelernt hatte.

                         Bild: Kater Plüschi
Kater PlüschiIn der nächsten Zeit holte mich der Kater öfters ab und führte mich zu den Kindern. Ich spielte mit ihnen verschiedene Spiele und erklärte ihnen welche, die ich selber kannte. Die Verständigung war aber sehr mühsam, und ich redete insgesamt nur wenig. Tagsüber war ich jetzt häufig müde. Als ich eines Sonntags Nachmittags bei meinen Eltern auf dem Sofa schlief, während der Kater auf meinem Bauch schlummerte, meinte meine Mutter hinterher:
"Ihr beide paßt ja gut zusammen..." Ich verzichtete lieber auf eine Erklärung.

Als ich wieder eines Nachts mit den Kindern in deren Welt diese Art Domino spielte, wollte der Kater Plüschi mir etwas zeigen und ließ mir keine Ruhe. Er stupste mich, bis ich aufstand und ihm durch die Wand mit der verschlossenen Tür folgte, durch welche die Kinder nicht hatten durchgehen können. Hinter dieser Wand befanden sich Korridore und Räume wie in einem Bunker oder wie in einem Raumschiff, fand ich. Alle Räume waren menschenleer und staubig. Schließlich kam eine Wand mit einer Tür, durch die wir nicht hindurchgehen konnten. "Mach auf!" forderte mich Kater Plüschi auf und strich an meinen Beinen entlang. "Wie denn?" fragte ich. "Ganz einfach, mit nichtrealer Pfote nichtrealen Riegel schieben wie zuhause mit realer Pfote reale Katzenpforte, nur daß bei dieser Tür hier Riegel nur durch Menschen bewegbar ist - sonst hätte ich die Tür schon längst selber aufgemacht." Kater Plüschi machte es mir in Gedanken vor, ich sah es vor dem inneren Auge wie einen Zeichentrickfilm. Nach ein paar vergeblichen Versuchen gelang es mir endlich, den mentalen Riegel der Tür zu lösen. Eine fremde Kraft tastete meine Gedanken ab, schien mich für In-Ordnung zu befinden, und die Tür öffnete sich wie eine Fahrstuhltür, oder soll ich sagen, wie eine Tür bei Raumschiff Enterprise, nur daß kein Geräusch zu hören war.

Aber ich konnte den Raum trotzdem nicht betreten. Bei dem Versuch, einzutreten, lief ich wie gegen eine unsichtbare Gummiwand. In meinem Kopf vernahm ich telepathisch eine Automatenstimme: "Zutritt nur für reale Personen, nicht für Mental-Reisende." Immerhin konnte ich in den Raum hineinsehen. Beim Anblick von Leichen auf dem Boden und auf einigen Sesseln wurde mir aber übel und ich erwachte in meinem Bett. Ich schaffte es gerade noch bis zum Klo.
 

Kapitel 4: Auf der Suche nach Rat:

In den nächsten Tagen grübelte ich viel, wie ich den Kindern helfen könnte. Die Kinder waren real und existierten nicht nur in meiner Einbildung, aber sie waren in einer anderen Welt gefangen und elternlos. Für irgendeinen Ort auf der Erde war der Raum, in dem die Kinder eingesperrt waren, zu ungewöhnlich. Ich redete mit meiner Freundin Anne darüber, sie glaubte mir und tat meine Erzählung nicht bloß als Spinnerei ab. Die Frage war, ob diese Kinder sich im Bunker einer Parallelwelt befanden oder in einem Raumschiff irgendwo in der Milchstraße. Für Telepathie soll ja angeblich Entfernung keine Rolle spielen, auch die Lichtgeschwindigkeit nicht. Offenbar waren die Eltern der Kinder, das heißt die Toten in dem anderen Raum, den ich mit Plüschis Hilfe geöffnet hatte, einem Unfall oder einer Krankheit zum Opfer gefallen. Am besten war wohl, diesen Raum nicht zu betreten, überlegten Anne und ich, und ihn den Kindern nicht zu zeigen. Aber wenn es der Steuerraum war, von dem aus das Raumschiff zu lenken war, oder das Kontrollzentrum des Bunkers, falls es ein Bunker war? Dann müßte man zuerst die Leichen entfernen und mit einem Geigerzähler prüfen, ob der Raum verseucht war, meinte Anne.

Ich hätte es nicht erwartet, aber als ich das nächste Mal bei meinen Eltern in Wannsee war, versuchte ich telepathischen Kontakt zu Kater Plüschi, und es gelang tatsächlich! Also funktionierte Telepathie nicht nur im Halbschlaf oder in einer Art Trance oder in der Welt der Kinder, wie ich zuerst gedacht hatte! Ich versuchte Plüschi zu erklären, daß die Leichen wegmüßten, damit ich oder die Kinder an die eventuell vorhandenen Steuergeräte könnten, falls der Ort der Kinder ein Raumschiff sei. Plüschi konnte den Begriff "Raumschiff" und somit das Problem nicht verstehen. Davon, daß er sich jetzt telepathisch mit mir verständigen konnte, bekam er noch lange nicht das Denkvermögen eines Menschen. Und ich war sowieso nicht pädagogisch begabt. Ich konnte Plüschi weder den Begriff "Raumschiff" noch die Begriffe "landen" und "Vakuum" erklären. Daß ich die Leichen aus den Raum entfernt haben wollte, verstand er einfach nicht. Plüschi erklärte lapidar: "Die Leichen sind tot, denen kannst Du nicht helfen. Und wozu den Raum betreten, wenn darin Leichen sind? Es gibt genug andere Räume ohne Leichen, die man genüßlich erforschen könne . . ." Daß aber die Kinder nun Waisenkinder seien und Ersatzeltern bräuchten, und nicht nur mich und ihn als geisterhafte Besucher, das verstand Plüschi hingegen sofort: "Wir brauchen jemanden, der die Kinder mitsamt Körper durch die Wand zu uns transportiert." Dabei sendete Plüschi mir das Bild einer Katze, die ihr Junges am Nackenfell im Maul transportierte. Bei der Vorstellung, Kinder mit dem Mund an den Haaren zu schleppen, mußte ich lächeln, aber das Problem war klar: Falls wir das Raumschiff nicht zur Landung bringen können, oder falls es ein Bunker war, keinen Ausgang ins Freie fänden, mußte man die Kinder per Teleportation auf die Erde holen. Plüschi schnurrte zustimmend und verlangte gekrault zu werden. Er erklärte weiter, daß nach seiner Ansicht meine Mutter, auch wenn sie schon recht alt sei, gerne noch ein paar Waisenkinder aufnehmen würde. Mich hingegen würde Kater Plüschi für weniger geeignet halten.

Als ich Anne davon erzählte, schlug sie mir vor, die Kinder direkt zu fragen, ob sie in einem Raumschiff oder in einem Bunker wären - mittlerweile sei ich ja in Telepathie genug geübt, und leichter als mit einer Katze sei das "Gespräch" mit den Kindern sicher. Außerdem könne ich ja auch an den Leichen erkennen, ob sie etwa durch einen Vakuum-Einbruch, an Radioaktivität oder einer Krankheit gestorben seien. Und danach erst könne entschieden werden, ob es gefahrlos sei, die Tür des "Kinderzimmers" zu öffnen. Diese Tür könne ich gewiß in der gleichen Art öffnen wie die Tür, bei der mir Kater Plüschi den Mechanismus erklärt hatte.

Ich wartete ab, bis "die Große" mich wieder abholte. Kaum war ich in ihrer Welt in dem merkwürdigen Kinderzimmer, fing ich auch schon an, Fragen zu stellen. Diesmal war ich didaktisch besser vorbereitet als beim Kater Plüschi. Die Große und der Neugierige übermittelten mir Erinnerungsbilder. Sie befanden sich tatsächlich in einem Raumschiff, und zwar waren sie im Anflug auf die Erde. Der Raum mit den Leichen war der Steuerraum, von dem aus die Erwachsenen des Schiffes die Landung vorbereiten wollten und mit Leuten von der Erde telepathisch über einen geeigneten Landeplatz diskutiert hätten. Aber das sei schon schrecklich lang her, schon "viele, viele Tage". Und seitdem hätten die Erwachsenen sie nicht mehr aus dem Kinderzimmer herausgelassen."

Die Große schrie auf. Sie hatte in meinen Gedanken das Bild der Toten entdeckt. Die Kinder fingen an zu weinen. Ich wollte sie in den Arm nehmen, aber ich griff durch sie hindurch, ich war ja nur mental anwesend. Kater Plüschi tauchte auf, aber auch das tröstete sie nur wenig. Um die Kinder abzulenken, beschloß ich, ihnen die Kinderzimmertür zu öffnen. Wie ich aus Vergleich mit einem medizinischen Fachbuch festgestellt hatte, sahen die Toten weder nach Vakuum-Dekompression noch nach Radioaktivitäts-Tod aus. Also konnte ich ohne Gefahr für die Kinder die Türen öffnen. Wie vom Kater Plüschi an der Steuerraumtür gelernt, entriegelte ich nun die Tür des Kinderzimmers. Die Automatik überprüfte meinen Geist telepathisch, ob ich "ein erwachsener Mensch" war, dann glitt die Tür auf. Es war doch nicht nur ein einfacher Sensortaster, wie ich beim ersten Mal gedacht hatte!

Die Kinder sahen auf und gingen vorsichtig durch die offenen Tür. Nur der Jüngste, der schätzungsweise drei Jahre alt war, rannte los und brüllte etwas, was ich aber nur indirekt über die beiden ältesten Kinder mitbekam. Mit den jüngeren Kindern bekam ich keinen telepathischen Kontakt zustande. Die Kinder erkundeten nun mit mir und Kater Plüschi alle Räume außer dem Steuerraum, den ich verschlossen ließ. Die meisten Türen konnten auch von den Kindern und von Kater Plüschi geöffnet werden. Bei den anderen Türen sah ich erst nach, ob dahinter nicht Vakuum oder eine andere Gefahr lauerte, bevor ich sie aufmachte. Als Geist konnte ich ja durch alle Wände bis auf die des Steuerraums gehen.

Das Interessanteste im Raumschiff war eine Art kleiner Turnhalle mit beweglichen Klettergerüsten und anderen Sportgeräten, die mich an ein Fitness-Studio denken ließen. Die Kinder schienen in dem Raum eine Art Rund-um-Kino zu erleben, was für mich aber unsichtbar war. Nur durch telepathischen Bildkontakt mit der Großen konnte ich sehen, daß der Raum mit beweglichen Holographien gefüllt war. Er erlaubte den Kindern Wandern, Bergsteigen, Reiten und sogar Schwimmen, was für mich, der ich die Holographien nicht sah, sondern nur die Kinder an den Sportgeräten, recht ulkig wirkte. "Das ist der Planet, wo wir landen sollen," erklärte der Neugierige. Mit den Augen der Großen sah ich - Mammuts und Säbelzahntiger!

Kapitel 5: Der Polarfuchs

Als ich am nächsten Morgen verschlafen in meinem Bett erwachte, fiel mir mit Erschrecken ein, daß ich mich gar nicht um den Steuerraum des Raumschiffs der Kinder gekümmert hatte und darum, ob es vielleicht einen Ersatz-Steueraum ohne Leichen darin gebe, um das Raumschiff auf der Erde landen zu lassen.

Diesmal dauerte es mehrere Wochen, bis ich wieder etwas von den Kindern sah. Von Kater Plüschi erfuhr ich, als ich bei meinen Eltern war, daß die Kinder jetzt nach jemanden mit Teleportier-Fähigkeiten suchten. Meine Idee, das Raumschiff auf der Erde landen zu lassen, begriff Kater Plüsch immer noch nicht. Mich zu den Kindern zu bringen, lehnte er ab: Die Große und der Neugierige seien jetzt zu sehr mit der Suche nach einem Teleporter beschäftigt.

Einige Tage später lagen die Große und der Neugierige (als Geister) eng an mich angekuschelt in meinem Bett, als ich am Morgen erwachte. Vor meinem Bett lag ein Polarfuchs auf dem Teppich, aber nicht nur als Geist, sondern real!

Kaum hatte ich mich etwas bewegt, als die Große die Augen aufschlug und gähnend bemerkte: "Das hat aber lange gedauert! Entweder schliefst Du zu tief oder Du warst zu sehr wach! Jetzt haben wir einfach bei Dir gewartet, bist Du ansprechbar bist." Ich schaute auf den Polarfuchs. Die Große sah meinen Blick und erklärte: "Das ist "der Weiße aus der Kälte", der den Körper durch die Wände mitnehmen kann. "Der Neugierige" hat ihn vor ein paar Tagen gefunden." Der Polarfuchs sah mich intensiv an und stellte Telepathie-Verbindung her: "Reden kann ich auch, und ich kümmere mich gerne um verlassenen Kinder, wenn sie die Gedankensprache können, aber Menschenkinder sind zu schwer, um sie zu teleportieren." Der Fuchs sah auf mein Bücherregal: "Gib mir eines dieser Dinger für die kleineren Kinder mit, aber eins mit richtigen Bildern!" Nach einigem Nachdenken gab ich ihm Brehms Tierleben. Der Polarfuchs nahm es in die Schnauze und verschwand. Es gab übrigens kein Geräusch dabei, wie ich erwartet hätte.

Die Große nahm meine Hand, und ich fand mich im Raumschiff bei den Kinder und dem Polarfuchs wieder. "Lies vor!" kommandierte der Fuchs, aber ich griff durch das Buch hindurch. Jetzt waren das Buch und der Fuchs real im Raumschiff, aber ich nicht. An Telepathie und Geistreisen beziehungsweise Mentalreisen hatte ich bisher ja geglaubt, vielleicht auch Telekinese, aber Teleportation in der Art des Beamens auf Raumschiff Enterprise hatte ich immer für unmöglich gehalten! Die Große nahm also das Buch in die Hand, schlug es nach meiner Anweisung auf, und ich las vor. Der Neugierige übertrug dann meine Gedanken in normale Sprache, welche die kleineren Kinder verstehen konnten.

Ich sah, daß eines der kleineren Kinder des Raumschiffs eine Art Kaninchen auf dem Schoß sitzen hatte. " 's hab ich aus der Wüste geholt, meine Jungen haben auch gerne mit so was gespielt." erklärte der Polarfuchs. Offenbar mußte ich mir daraufhin mit Schaudern vorgestellt haben, wie ein junger Fuchs so ein niedliches Kaninchen totbiß, denn der Fuchs erklärte mir nämlich: "Das macht doch nichts, es gibt genug davon. Und Geist wie wir hier haben sie auch nicht."

Was mir beim Kater Plüschi nicht gelungen war, hatte die Große beim Polarfuchs geschafft, nämlich ihm klarzumachen, daß das Raumschiff auf der Erde landen sollte, daß der Steuerraum voller Toten war und erst die Leichen beseitigt werden müßten, bevor die Kinder gefahrlos diesen Raum betreten könnten. "Komm," sagte der Fuchs zu mir, "das machen wir jetzt. Mach Du mir die Tür auf, die nur auf erwachsene Menschen reagiert, ich mache den Rest." Die Wand des Steuerraums war nämlich auch für den Fuchs undurchdringlich.

Ich öffnete die Tür des Steuerraums des Raumschiffs, wie ich es von Kater Plüschi gelernt hatte. Die Automatik tastete wieder meinen Geist ab und prüfte, ob ich ein "erwachsener Mensch" war, dann ging die Tür auf. Eintreten konnte ich nicht, nur der Fuchs. Das Sperrfeld ließ ja nur reale Wesen durch, keine Geistreisende. "Ob der Fuchs jetzt die Leichen zu einem Friedhof auf der Erde teleportiert oder sie jetzt auffrißt oder gar Aasgeier aus der Sahara herbei teleportiert?" überlegte ich halb unbewußt. Aber nichts dergleichen geschah. Der Fuchs schleppte die erste Tote, eine rothaarige Frau mit grauen Strähnen und der gleichen Art Zopf, wie ihn die Große trug, zu einer anderen Tür des Steuerraums. "Öffne diese Tür!" befahl mir der Fuchs. Ich tat dies mit meinen Gedanken. Eine Entfernung von etwa acht Metern störte dabei gar nicht. Ich stand ja wegen des Geister-Schirmfeldes immer noch im Korridor vor der offenen Tür des Steuerraums. Der Fuchs schleppte also die Leichen nacheinander in diesen kleinen, leeren Nebenraum, der sich hinter dieser zweiten Tür befand. dann ließ er mich die Tür wieder schließen. Ich war unzufrieden: Einfach die Leichen in einer Kammer wegzuschließen, war nicht meine Art, so ein Problem zu lösen. So lagert man höchstens Atommüll zwischen!

"Für was hältst Du mich!" schimpfte mich der Fuchs aus, "Jetzt schalte gefälligst den Konverter ein! Noch nie 'was von Müllverbrennung gehört?" Ich nahm geistig Kontakt zur Automatik des Raumschiffes auf, indem ich in Gedanken auf die Sensortaste neben der Kammertür drückte. "Bitte die Leichen entsorgen," bat ich. "Wird erledigt," sagte die automatische Gedankenstimme und fuhr fort: "Die Todesursache wird im Logbuch festgehalten." - "Was war denn die Todesursache?" fragte ich zurück. "Du bist nicht befugt, dies zu erfahren. Nur die legitimierte Besatzung des Raumschiffes hat Recht auf Einblick in das Logbuch." war die Antwort. Ich war empört. Machte sich der Bordcomputer etwa über mich lustig? Ich war doch der einzige erwachsenen Mensch im Raumschiff! Oder sind die Computer einer raumfahrenden Rasse immer noch genauso stupide wie die Computer bei uns auf der Erde des 20. Jahrhunderts?

Der Polarfuchs unterbrach mich: "Frage die Schiffsautomatik, ob es für die Kinder gefährlich ist, wenn sie diesen Raum betreten?" Die Antwort kam prompt: "In diesem Raum sind keine Krankheitskeime, wie Du denkst, auch keine Strahlung und so weiter. Aber Kinder dürfen den Steuerraum nur in Begleitung Erwachsener betreten." Aber die waren doch tot! Ich dachte wieder an die Leichen und erwachte mit etwas Übelkeit in meinem Bett in meiner Wohnung. Aber diesmal war es nicht mehr so schlimm wie beim ersten Mal. Ich war nur etwas bleich den Tag über bei der Arbeit.

Beim nächsten Mal im Raumschiff, es war wohl eine Woche später, gelang es uns schließlich, zusammen den Steuerraum zu betreten. Erst wollte die Automatik weder mich noch die Kinder durch das Schirmfeld an der Tür des Raumes lassen, aber der Fuchs stellte eine telepathische Direktverbindung zu mir her, so daß er und ich zusammen auf die Raumschiffs-Automatik wie ein erwachsener real-anwesender Mensch wirkten. Wie der Polarfuchs das im Einzelnen schaffte, blieb mir rätselhaft. Der Polarfuchs erklärte lapidar, bis jetzt sei er noch überall hineingekommen, wo er hineingewollt hatte.

Wir nahmen nun Platz in den Sesseln des Steuerraumes und versuchten, mit der Raumschiffs-Steuerung Kontakt aufzunehmen. Ich vermutete, daß der Bordcomputer eine Art Benutzerführung haben müsse, die auch Laien ohne Vorkenntnisse eine Bedienung erlaube. Denn dieses Raumschiff mußte ein Mehrgenerationen-Schiff sein, da die Aufzeichnung des Fitnessraums die Erde noch mit Mammuts und Säbelzahntigern zeigte. Also durfte die Steuerung des Schiffes nicht allzu kompliziert sein. Ich dachte an einen Science-Fiction-Roman, in dem die Besatzung eines Raumschiffs auf Steinzeitniveau abgesunken war.

Diesbezüglich hatte ich mich aber gründlich getäuscht: Es gelang uns zwar, in Kontakt mit der Steuerung zu kommen, aber es gab weder eine Benutzerführung noch überhaupt einen zentralen Bordcomputer, wie ich es erwartet hatte. Das Raumschiff hatte nicht einmal ein Cockpit mit einer Schalttafel und Steuerkabeln, sondern nur dezentrale Elemente, die telekinetisch betätigt werden mußten. Als Bordgehirn mußten, außer bei den Türriegeln, die Menschen an Bord selber dienen, indem sie sich telepathisch vereinten! Immerhin konnten wir feststellen, daß das Raumschiff einen Defekt hatte. Das Logbuch enthielt folgenden Eintrag: "Der Dimensions-Assimilator funktioniert nur im Virtuellen Gelb-Bereich. Das Schiff muß zur Reparatur auf unter ein viertel Lichtgeschwindigkeit abgebremst werden." Aber wir fanden keine Bremsdüsen an Bord! Ob das Schiff telekinetisch verlangsamt werden mußte?  Es war uns nun völlig klar, daß der Fuchs und ich mit den beiden Psi-begabten ältesten Kindern nicht schaffen konnten, woran ein halbes Dutzend erwachsender Psi-Talente gescheitert und dabei umgekommen waren. Wir waren ratlos.

Der Fitnessraum mit den Holos funktioniere auch als Schule, erklärte der Neugierige. Wir gingen dorthin. Wir sahen uns dort einen Lehr-Holo-Film an über die Funktionsweise des Schiffs-Antriebes. Mit den Augen der Großen konnte ich telepathisch zusehen, da ich auf direktem Wege ja die Holographien nicht sehen konnte. Wir verstanden vom Film aber absolut nichts. Immerhin hieß es im Film, eine Reparatur der Steuerung im Realbereich sei ohne XYZ-Absorber lebensgefährlich, und für den Aufbau dieses Absorbers benötige man einen Knies von mindestens sechs starken Telekinetikern, die sie an den mit blauen Stern markierten Punkten im Schiff verteilen müßten. Kurzum - an eine Landung des Raumschiffes war nicht zu denken.

Vielleicht bestand ja die Möglichkeit, daß die NASA eine Sonde zu dem Raumschiff schickt, um die Kinder zu bergen, vorausgesetzt, das Raumschiff befindet sich in unserem Sonnensystem und wir wüßten die Koordinaten! Ich war verzweifelt. Und wie tröstet man telepathisch begabte Kinder, denen man keine Zuversicht vorheucheln kann?

Kapitel 6: Der alte Farmer

Der Polarfuchs ließ sich nicht unterkriegen: "Ich kenne viele Wesen, welche die Gedankensprache verstehen, auch einen Menschen, der mehr Erfahrung hat als Du - aber Du solltest erst Mal schlafen gehen. Dann sehen wir weiter. " Und plötzlich fand ich mich in meinem Bett wieder. "Schlaf!" befahl der Fuchs, der auf meinem Schlafzimmerteppich hockte.

Am nächsten Morgen fand ich einige weiße Tierhaare auf meinem Teppich, was mir bewies, daß ich nicht bloß geträumt hatte, übrigens der erste richtige Beweis für die ganze Sache. Schon in der nächsten Nacht, und nicht erst nach einer halben Woche, wie es bei den Kindern des Raumschiffes und Kater Plüschi üblich war, holte mich der Fuchs wieder ab. Er brauchte nicht auf eine Halbschlafphase bei mir zu warten, bis ich für Psi ansprechbar war. Er weckte mich mit einem unsanften Anstubser: "Wach auf!" Er nahm mich mit auf Geistreise zu einer Farm, die für mich typisch amerikanisch aussah. Vielleicht war es auch Australien oder Neuseeland. Es war dort Tag, während es in meiner Wohnung Nacht gewesen war. Ich hätte erwartet, daß der Polarfuchs auch die zwei telepathischen ältesten Kinder vom Raumschiff zu dieser Farm gebracht hätte. "Die Kinder müssen noch schlafen. Bei ihnen ist die Zeit langsamer." erklärte der Fuchs, der offenbar meine Gedanken las. Ich war erstaunt. Verstand etwa der Fuchs die Einstein´schen Zeitverschiebungen? "Ich kenne Deinen Einstein nicht, aber ich sehe, was ich sehe," beantwortete der Fuchs meine nicht ausgesprochene Frage.

Der Fuchs gab ein Geräusch von sich, wohl eine Art Bellen, das ich aber nicht hörte, da ich ja nur als Geist anwesend war. Von verschiedenen Seiten kamen einige Hunde und Katzen sowie eine Ziege und andere Tiere. Zuletzt kam auch noch ein grauhaariger alter Mann aus dem Farmhaus. Ich sah an der Gestik und den Mundbewegungen des Farmers, daß dieser den Polarfuchs freudig begrüßte, aber ich verstand nur die telepathischen Antworten des Fuchses.

"- - -"

"Ja, den Jungen vom letzten Jahr geht es gut. Aber keiner kann die Gedankensprache richtig."

"- - -"

"Ja, dem geht es auch gut. Aber er teleportiert nur noch in Sichtweite. Es reicht so grade für die Jagd, aber im Winter/in der Polarnacht/ hat er arge Langweile. Da erzähle ich ihm Märchen, die ich bei den Menschenkindern erlauscht habe..."

"- - -"

"Dieses Dosenfutter bietest Du mir doch nur an, um mich vom Jagen abzuhalten! Sei doch froh, wenn Du ein paar von diesen geistlosen Viechern los bist!"   Ich wurde ungeduldig. Der Fuchs spürte meine Unruhe und unter-brach den Farmer: "Ich habe hier jemanden, der Hilfe sucht." Der Farmer blickte in meine Richtung, sah mich aber nicht. Ich erzählte von dem Raumschiff und den Kindern, und der Fuchs leitete meine Gedanken umgeformt an den Farmer weiter. Kaum hatte ich die Situation auf dem Raumschiff geschildert, erschrak der alte Mann aufs heftigste. Der alte Mann berichtete völlig verstört, daß seine verstorbene Frau eine starke Telepathin gewesen war, aber dann geisteskrank wurde. Als sie vor etwa 50 Jahren erzählte, daß sie Kontakt mit der Besatzung eines UFOs hätte, habe man sie in die Psychiatrie gesperrt. Telepathische Menschen würden ja in der Regel geisteskrank. Niemand, auch nicht er selber, habe seiner Frau die Sache mit dem UFO geglaubt. Der alte Mann führte uns ins Haus und zeigte uns ein Ölbild. Es zeigte die UFO-Kommandantin im Steuerraum des Raumschiffes. Das war genau die rothaarige Frau, die ich als Leiche gesehen und die der Fuchs als erste weggeschafft hatte! Sie war die Mutter "der Großen" und "des Neu-gierigen"! Der Schock war für mich zu groß, so daß ich den telepathischen Kontakt verlor und mich in meinem Bett wiederfand.

Der Polarfuchs kam aber sofort hinterher, packte mich mit der Schnauze am Arm, daß es fast blutete, und sogleich befand ich mich wieder auf der Farm auf der anderen Seite der Erde. Ich erzählte noch einmal in Ruhe das Problem: "Die Kinder im Raumschiff sind seit mehreren Jahren Waisenkinder (auch wenn an Bord noch nicht fünfzig Jahre vergangen sind). Wie können wir diese Kinder auf die Erde holen? Ob wir uns an die NASA wenden sollten?"

Der Farmer winkte ab. Dann würden wir alle in der Psychiatrie landen wie seine Frau. Ob ich übrigens wüßte, daß fast alle menschlichen Telepathen verrückt wurden und nur solche, die wie er ausschließlich mit Tieren Telepathie pflegten, einigermaßen geistig gesund blieben? Aber im Notfall riskiere er schon mal seine geistige Gesundheit. Der Farmer öffnete einen Schrank, nahm eine Whiskey-Flasche heraus und goß sich ein Glas ein. Dann stürzte er den Inhalt in einem Schluck hinunter und goß sich ein zweites und schließlich ein drittes Glas ein.

Nun vernahm ich die Gedanken des Farmers direkt ohne Vermittlung des Polarfuchses. Der alte Farmer sah mich musternd an:   "Das hier ist aber keines der Kinder aus dem Raumschiff, 's scheint eine erwachsene Person zu sein- mmh, Haarfarbe kann ich nicht erkennen - ob ich vielleicht noch ein Glas Whiskey nehme - lieber nicht." - "Was ist Ihr Lösungsvorschlag?" fragte ich ihn ungeduldig.   "Ganz einfach! Wenn unser Freund Polarfuchs hungernde Eskimos mit meinen Hühnern füttert und seine Jungen im Polareis mit australischen Kaninchen ernährt, dann müßte er doch auch die Kinder vom Raumschiff hierher teleportieren können."  -
"Sie sind aber zu schwer für mich!" erwiderte der Fuchs. Der Farmer überlegte eine Weile, dann sagte er:  "Ich hab 's. Es könnte gehen, wenn wir Dir unsere Kraft geben."  -  "Unsere Kraft geben?" fragte ich verwundert.  "Ja, wir bilden einen Psi-Kreis und übertragen unsere Kraft auf den Fuchs." Der Farmer reichte dem Fuchs seine Whiskey-Flasche. "Bring das den Kindern. Wenn die Kleinen jeder ein halbes Glas trinken, ist ihr Geist offener für Psi, falls sie überhaupt die Begabung geerbt haben. Oder willst Du warten, bis sie ein paar Jahre älter sind und sich der Pubertät nähern?" Wir sagten nichts. Der Farmer ergänzte:  " Na also!"
Der Farmer berührte den Fuchs: "Auf, führ mich!" und schon befanden der Farmer und ich uns mit dem Polarfuchs im Raumschiff. Offenbar hatte der Farmer schon öfters die Fähigkeiten des Polar-fuchses zu Geistreisen ausgenutzt. Bei den Kindern saß Kater Plüschi, der aber sofort einen Buckel machte und verschwand, als er den Polarfuchs sah. Er mochte ihn offenbar nicht. Der Fuchs weckte die Kinder, aber wesentlich sanfter, als er mich geweckt hatte. Nachdem die Kinder begriffen hatten, was wir beabsichtigten, bekamen die Kleineren etwas von dem Whiskey, dann bildeten der Farmer, ich und die beiden ältesten Kinder einen Kreis um die Kleineren und den Fuchs. Der Farmer stimmte ein Gemurmel an wie ein buddhistischer Mönch. Ich spürte, wie Energie von uns auf den Fuchs strömte.

Der Polarfuchs schnappte den Kleinsten am Arm und verschwand mit ihm, dann tauchte er allein wieder auf und wiederholte das Ganze mit dem nächsten Kind. Zum Schluß war nur noch "die Große" real auf dem Raumschiff. Nun verlagerten wir unseren Psi-Kreis auf die Farm. Im Wohnzimmer des Farmers bildeten der Farmer und der Neugierige als real-Anwesende und ich mit der Großen als Geister erneut einen Kreis um den Fuchs. Der Fuchs verschwand kurz und tauchte sogleich mit "der Großen" als bewußtlose reale Person auf. Die Große als Geist schaute verwundert auf ihren leblosen Körper in der Kreismitte. "Los, zurück in den Körper!" befahl der Fuchs. Ich verlor die Besinnung.

Ich erwachte spät am Morgen in meinem Bett. Diesmal schaffte ich es nicht mehr bis 9 Uhr ins Büro. Als ich abends heimkam, lag auf meinem Kopfkissen ein Zettel: "We would be rather pleased to hear from you by real mail!" (auf deutsch: Wir würden uns freuen, über reale Post von Ihnen zu hören) Darunter war eine Adresse in den USA angegeben. Ich schrieb gleich am nächsten Tag einen Brief. Und wo ich den nächsten Urlaub verbringe, war mir jetzt auch klar.

Ende

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Hanna-Chris Gast
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Stand: 22. März 2009
 
 

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